Wieviele Jahre noch bis zur Rente? Von der Angst vor Veränderung und dem Glück, sie zu überwinden

Die meisten Menschen sehnen sich nach Veränderung. Und zwar jahrelang, mitunter jahrzehntelang, ohne dass sich etwas verändert. Warum ist das so? So absurd es klingt: Weil sie nicht wollen, dass sich dabei etwas ändert. Man träumt beispielsweise von einem anderen Job – aber den wirklich zu bekommen und anzunehmen hieße ja, dass man die Kolleg*innen verlassen müsste. Dass der Arbeitsweg ein anderer würde, die Arbeitszeiten womöglich etc.

Das ist nicht läppisch. Veränderung macht Angst. Man kann auch Umzüge in eine andere Stadt oder Trennungen von Partner*innen als Beispiele nehmen, die noch sehr viel tiefer ins System einschneiden. Aber bleiben wir ruhig bei der halbwegs unverfänglichen Arbeitsstelle.

Ja, man hätte also wirklich gerne eine andere Tätigkeit oder mehr Anerkennung. Aber:

  • Da, wo man jetzt ist, kennt man die Abläufe und beherrscht die Regeln. Wie wird es woanders sein?
  • Hier kennt man die Menschen – und wird von ihnen gekannt. Wie lange wird es dauern, mit einem neuen Umfeld warm zu werden?
  • Und man bestätigt auf der jetzigen Stelle jeden Tag aufs Neue seine Existenz. Denn wenn man jetzt ginge – würde das nicht bedeuten, dass die letzten Jahre ein Fehler, womöglich gar nicht wahr gewesen sind?

Auch das Geld spielt eine Rolle, aber dies auf irrationale Weise: Sogar, wenn man sein Gehalt zu niedrig findet, neigt man oft dazu, zu bleiben, denn so wie es jetzt ist, hat man doch wenigstens einen Spatz in der Hand … – daher würde ich das Geldthema Punkt eins zuordnen.  

Am schwersten wiegt der Verlust des Bestehenden

Die Gemengelage ist also die: Man ist einerseits unzufrieden, hat Wünsche, ja ersehnt sich Neues. Andererseits ist da die Angst vor genau diesem Neuen – und mehr noch vor dem Verlust des Bestehenden, ja vor der Veränderung als Prinzip: dem ständigen Wandel, der einen wer weiß wohin treibt und dem man eben nur sein persönliches Festhalten entgegensetzen kann.

Die Spannung, die hieraus entsteht, entlädt sich meist in der Klage. Dem Jammern über ungenügende Verhältnisse, denen man leider hilflos ausgeliefert ist. Und über die vermutete Unmöglichkeit, etwas anderes, Besseres zu finden. Damit stabilisiert man sich dann wieder halbwegs, wenn auch auf energetisch gesehen niedrigem Niveau. Wieviele Jahre sind es noch bis zur Rente?

Die Bedenken vom Tisch zu wischen und Menschen in dieser Spannungslage ins Gewissen ihrer Träume reden zu wollen, wird nicht zum Ziel führen. Die Ängste sind real, und von außen kann keine Veränderung bewirkt werden. Eine Stabilisierung auf energetisch hohem Niveau wird sich nur ergeben, wenn der Widerspruch aufgelöst und entweder der Veränderungswunsch als übernommenes Bild dechiffriert oder den inneren Fesseln auf den Grund gegangen wird.

Wenn man im Sicherheitsnetz festklebt

Denn dafür, dass sich jemand daran hindert, das anzustreben, auszuprobieren und zu leben, was er oder sie sich im Innersten wünscht, gibt es immer einen Grund. Einen Glaubenssatz, ein Versprechen, das man sich oder anderen gegeben hat, ein Verhaltensmuster, mit dem man alte Verletzungen kompensiert, irgendein vermeintliches Sicherheitsnetz, an dem man aber festklebt wie ein eigentlich flugfähiges Insekt im Netz der Spinne. Sich solche Felder anzusehen, lohnt sich meist nicht nur in einer Hinsicht.

Weißt du, wieviel Energie freiwerden kann, wenn man bestimmte Türen nicht mehr zu, all diese Deckel nicht mehr unten halten muss? Und wieviel Zeit man plötzlich hat, wenn man aufhören kann, sich zu beklagen? Wie dies die Freund*innen entlastet? Und das Leben beschwingt?

Abschiede sind immer traurig. Das darf so sein

Die gute Nachricht ist: Um sich endlich zu verändern, muss man nicht „über die Angst gehen“ und sich mit schlotternden Knien in das Ungewisse stürzen. Angst lässt sich an dem Punkt auflösen, an dem sie entstanden ist. Auch heute noch. Und wenn das geschafft ist, kommt es einem bald selbst seltsam vor, an welchen akuellen Verhältnissen man noch festhält, obwohl sie einem nicht guttun. Veränderung wird dann der selbstverständliche nächste Schritt sein.

Ich will nicht sagen, dass Veränderung jemals vollkommen leicht sein wird und ohne Bedauern. Aber sie wird für einen selbst alternativlos werden. Abschiede sind immer auch traurig. Es wäre seltsam, wenn das nicht so wäre. Doch darf einen das nicht nachhaltig davon abhalten, etwas Neues zu beginnen. Denn auch wenn es nicht mehr allzuviele Jahre bis zur Rente sind – dein Leben findet immer im Jetzt statt.

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