Manche spüren es zuerst im Magen, andere bekommen Herzklopfen, beginnen zu zittern oder haben Schmerzen im linken Arm. Egal womit es anfängt, binnen Sekunden funkt das gesamte vegetative Nervensystem Alarm, und je nachdem, welcher Typ man ist, wechselt man in den Reaktionsmodus Kampf, Flucht oder Ohnmacht – fight, flight or freeze: Man wird aggressiv, kann nicht mehr stillsitzen oder sackt zusammen wie ein Häuflein Elend.
Wenn die Angst kommt, geht nichts mehr. Alle Sicherungen versagen, was zusätzlich Angst macht. Dass oft kein äußerer Anlass ersichtlich ist, kommt hinzu und macht ebenso neue Angst wie die völlig richtige Vermutung, dass sich dieser Zustand jederzeit wiederholen kann. Irgendwann triggert schon ein Herzklopfen beim Treppensteigen die Angst vor der Angst und morgens beim Aufwachen checkt man erstmal – wiederum ängstlich – alle Körperfunktionen oder man erwacht ohnehin mit einem brennenden Gefühl im Solarplexus, wie bei einem Schrecken.
Auch wenn es sich so anfühlt: Man stirbt nicht
Eine Ärztin sagte mir einmal, dass die meisten Menschen, die in die Notaufnahme kommen, weil sie fürchten, einen Herzinfarkt erlitten zu haben, tatsächlich eine Panikattacke hatten. Das war am 1. Mai 2014 in einer Notaufnahme. Ich hatte den Tag der Arbeit mit den Kindern im Grünen verbringen wollen und am Vorabend nach Dienstschluss Essen vorbereitet, war früh aufgestanden, hatte die Wohnung geputzt, Decken, Spiele etc. gepackt – und mich dann auf der Stadtautobahn verfahren, war durch den Umweg in Verzug gekommen, wollte den Freunden Bescheid geben, dass wir uns verspäten würde … Es dauerte mehrere quälende Minuten, bis ich mir eingestand, dass ich nicht weiterfahren konnte, sondern auf dem Standstreifen einer Zufahrt anhalten musste. Ein Gefühl zu fallen, zu sterben. „Man stirbt dann nicht“, versicherte meine Hausärztin einige Tage später. „Man wird nicht einmal wirklich ohnmächtig. In eine Tüte zu atmen, hilft auch.“
In den Jahren darauf habe ich viel über Angst und die Angst vor der Angst gelernt und den 1. Mai stets schon vorauseilend und freiwillig im Bett verbracht. Wobei Angst keine Folge von Überforderung ist. Es ist eher so, dass sich das meldet, was durch andauerndes, auslaugendes Tun zugedeckt wird. Angst kommt von innen, aus der Tiefe, sie ist so etwas wie ein Nothaltemechanismus des Systems. Nicht mit dem Ziel, das restliche Leben im Bahnhof zu verbringen – sondern es soll das Gleis gewechselt werden. Oder man hat etwas Wichtiges vergessen, ohne das die Fahrt keinen Sinn macht. Oder man ist wirklich zu schnell gefahren, das gibt es auch.
Angst ist ein Korrekturprogramm
In jedem Fall ist Angst ein Rettungsmechanismus. Ein Korrekturprogramm. Es enthüllt dir, dass dein Alltag, der dir so vertraut und unveränderbar erscheint, in Wahrheit ein Säbelzahntiger ist, der dein Seelenheil bedroht. Angst erzählt dir etwas über dich selbst. Sie ist eine Freundin.
Und wie eine wirklich gute Freundin, lässt Angst nicht locker. Sie lässt sich nicht abspeisen mit einer Kur, etwas Yoga oder einem Burnout-Programm. Das ist als Sofortmaßnahme zwar richtig und wichtig. Einmal auf dem Plan, will die Angst aber mehr: eine valide Kursänderung oder Offenlegung oder was auch immer sie angelockt hat. Und sie bleibt verlässlich an deiner Seite und flüstert dir „warm, warm, heiß!“ oder „ganz kalt“ ins Ohr, bis du das Osternest mit deinem Seelenthema gefunden hast, seien es vergessene Gefühle, einen Plan, den du mal hattest – irgendetwas jedenfalls, das dein Leben reicher machen wird, das echte Freude bringt. Der Weg aus der Angst ist der Weg mit ihr als Kompass.
Manchmal macht die Richtung, die sie zeigt, selbst Angst. Aber das ist dann eine andere Angst, vielleicht eher eine Furcht: ängstliche Gedanken, Bedenken, man kann doch nicht … Doch, kann man.
Eine innere Logik gibt es durchaus
Auch wenn es für eine Panikstörung diagnostisch konstitutiv ist, dass die Angst nicht in bestimmten, vorhersehbaren Situationen auftritt – eine innere Logik gibt es durchaus. Tagebuchschreiben hilft: Wie hast du dich in der jeweils vorausgegangenen Situation gefühlt – der Weg des Herzens führt dich hin, Biegung um Biegung. Es mag dauern, aber das macht nichts, denn genau dafür haben wir ja das Leben, nicht für Exceltabellen oder Fleißbienchen. Und wenn du jemanden brauchst, der die ersten Schritte mit dir geht – ich bin da.
Foto: Walter Knerr über Pixabay


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