Wieviel mehr Zeit und Ruhe ich zur Verfügung habe, war das Erste, was mir auffiel, als ich vor einigen Jahren mit meinem eigenen energetischen Prozess begann.
Der erste Schritt ist hierbei ja, Gedanken und Gefühle unterscheiden zu lernen. Und wenn man seine Gedanken beobachtet, merkt man schnell, wie groß daran der Anteil von Bewertungen ist: das ist gut, jenes ist schlecht, wie kann man nur!, das ist ja unmöglich!, so eine Frechheit!, sehr schön, aber mal sehen, wie lange sie das durchhalten wird, selber schuld, oh Mann, jetzt habe ich das schon wieder nicht geschafft … Geradezu automatisch und ohne Pause kommentiert das Gehirn, was um einen herum oder durch einen geschieht – und dies selten in einer liebevollen, unterstützenden Weise.
Bewertungen erzählen vor allem etwas über dich selbst
Es sind Konditionierungen, Ängste, Mangel, Neid oder Unsicherheiten, die da zu Wort kommen und die Wahrnehmung der Wirklichkeit streng kontrollieren. Das ist psychologisch keine neue Erkenntnis: Die Situation, dass zwei Personen an einem Tisch im Café sitzen und sich unterhalten, wird von einer von Verlustängsten geplagten Partnerin einer der Personen sicher anders registriert werden als von der Bedienung des Cafés. Der Ton macht die Musik, in diesem Fall: die Frequenz, in der man selber schwingt. Wenn man jedoch beginnt, diese Frequenz selbst beeinflussen zu können, ist es eine echte Offenbarung.
Zurück zu meiner Erfahrung. Zu registrieren, dass es sich um Bewertungen handelte, was ich da so ständig vor mich hindachte, führte zunächst dazu, dass es mir gelang, die Gedanken zumindest nicht weiter zu vertiefen. Stattdessen begann ich zu erforschen, auf welche Einstellungen, Erwartungen und Gefühle sie verwiesen. Das war wesentlich interessanter als sich damit zu befassen, was andere – oder man selbst – wieder falsch gemacht hat. Und bringt einen, wenn man in die innere Freiheit gelangen will, auch wesentlich weiter.
Worauf es ankommt, wenn man Bewertungen loslassen will, ist meiner Ansicht nach Folgendes:
- Die Ehrlichkeit, anzuerkennen, dass es sich bei den meisten Gedanken über andere oder sich selbst um Bewertungen handelt und nicht um objektive Wahrheiten.
- Den Mut, zu fragen, wem oder zu was diese Bewertungen dienen.
- Eine zunehmende Anerkennung der eigenen Person als rundum schätzenswert – auch und gerade in ihrer Unvollkommenheit und Fehlbarkeit.
- Der Respekt vor den Wegen und Entscheidungen anderer Menschen.
Neben persönlichen gibt es auch gesellschaftliche Bewertungen
Jeder Punkt berührt ein anderes Kapitel des energetischen Prozesses und öffnet eine neue Ebene der Wirklichkeitserfahrung. Das Thema Bewertungen begleitet einen den ganzen Weg hindurch – und auch darüber hinaus. Denn außer den persönlichen Bewertungen gibt es ja noch die gesellschaftlichen, die uns umgeben und denen sich zu entziehen besonders komplex ist. Aber auch da kann es gelingen, einen Weg zu finden, der mit den eigenen Herzensüberzeugungen in Resonanz geht. Als Menschen haben wir ja die Freiheit der Wahl, und zwar jeder einzelne Mensch und immer.
Und jede Wahl hat ihre Berechtigung. Das ist die Einsicht, mit der die Liebe ins Spiel kommt. Wenn ich darauf vertraue, dass alles, was andere sagen oder tun im Einklang mit ihrer Sicht auf die Welt steht, die ich nicht kenne – und wenn ich die Notwendigkeit, mich mit anderen identifizieren zu müssen, hinter mir gelassen habe, kann ich jeden so hinnehmen wie er oder sie ist. Das bedeutet nicht, dass ich ihnen damit automatisch zustimme. Vielmehr bewahre ich mir die Freiheit, mich von jemandem, dem ich nicht zustimme, friedlich abwenden, um das weiter zu verfolgen, was mir selber wichtig ist.
Das Ende des Bewertens ist das Ende des Kämpfens
Das Ende des Bewertens ist auch das Ende der Notwendigkeit, andere zu bekämpfen. Und das ist wichtig. Denn durch den Kampf bindet man sich nur immer fester an das Bekämpfte. Wie es so schön heißt: Von der Tür, die ich zuhalten will, komme ich nicht los. Und dann wird der Ärger über das Feststecken in den Kampf investiert und so weiter.
Wenn ich heute unterwegs bin oder spazierengehe oder nichts tue, denke ich oft an nichts. Oder ich wünsche und träume. Ich hechele auch mit anderen keine Situationen mehr durch, wie ich es früher gern getan habe und was damals auch oft lustig war. Ich finde das jetzt nicht mehr lustig.
Manchmal passiert es mir noch, dass ich Frequenzen an anderen Personen zu deuten versuche und dann mutmaße, was mit ihnen sein könnte. Wie eitel das ist, habe ich gerade erst wieder erfahren. Ich hatte eine Bekannte getroffen, die sehr unkonzentriert und auch etwas haltlos wirkte. Ich dachte, dass sie ein Suchtproblem haben könnte und habe das einer Freundin gegenüber sogar geäußert. Kurz darauf ist der Mann dieser Bekannten gestorben – nach kurzer, schwerer Krankheit, die sie ganz privat gehalten hatten.
Meine falsche Mutmaßung war eine Bewertung, die einen möglichen Blick auf das, was wirklich wahr, verstellt hat. Wir sollten es am besten dabei belassen: Wirklichkeit ist viele und jeweils nur von innen zu erfahren.
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